Wenn wir das Wort Liebe in uns wirken lassen, werden zuerst unsere Gefühle angesprochen. Es kann sein, dass man sich dabei glücklich, sicher, geborgen, zärtlich oder leidenschaftlich
erregt fühlt.
Aber genauso gut können gegensätzliche Empfindungen wie Enttäuschung, Einsamkeit, Trauer oder vielleicht sogar Hass hervorgerufen werden.
Diese Anmutungen rufen dann bestimmte Bilder, Szenen oder Erinnerungen hervor, in denen gelebte Liebe erfahren oder eben vermisst wurde.
Gleichzeitig überwindet sie durch ihren grundsätzlich relationalen Charakter Dualität, indem sie sich auf jemanden oder etwas richtet, zu dem wir hinstreben und von dem wir angezogen
werden.
Besonders vertraut ist uns in diesem Zusammenhang die Partnerliebe, Elternliebe, Kindesliebe oder familiäre Liebe. Liebe bringt Beziehungen hervor, die für die Genese des Lebens von essenzieller
Bedeutung sind. Schon bei einzelligen Lebewesen ist Austausch und Zusammenschluss, nicht Konkurrenz, der Motor der Evolution.
Biochemische Strukturen und Organismen treten in Kooperation, sodass sich Leben in ständigen Metamorphosen entfalten, zu neuen, komplexeren Formen entwickeln und Vielfalt hervorbringen
kann.
Wenn wir verliebt sind, zu schweben beginnen, der ausgewählte Partner unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht und seine Gesten zu einer einzigen Offenbarung werden, wird dieser
Zustand von biochemischen Reaktionskaskaden gesteuert, die dem bewussten Erleben vorausgehen.
Der Neurotransmitter Dopamin wird verstärkt freigesetzt und das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, was übrigens auch beim Austausch von Zärtlichkeiten, beim Körperkontakt, beim Stillen und
Gebären das Gefühl der seelischen Verbundenheit steigert.
Genauso wenig, wenn wir die Liebe auf bestimmte Bedingungen und Personen reduzieren. Alle diese Formen der Liebe sind an bestimmte Bedingungen und Personen gebunden. Die spirituelle Liebe durchbricht diese Schranken, indem sie sich nicht mehr nur auf mir nahestehende oder sympathische Menschen richtet. Solche Augenblicke erleben wir vielleicht im Alltag als Mitgefühl fremden Menschen gegenüber, wenn uns deren Schicksal berührt.
Für Erich Fromm (vgl. 1971) liegt in der Nächstenliebe das Erlebnis der Vereinigung mit allen Menschen, das Erlebnis der menschlichen Solidarität und der menschlichen Einheit. Somit transzendiert Liebe den Rahmen der instinktiven Regungen und persönlichen Bindungen auf das Sein im Ganzen hin. Paul Tillich (vgl. 1961) spricht von der ontologischen Dimension der Liebe als einer Bewegung, die durch den schöpferischen Impuls des Werdens verbindend und gestaltend wirkt. Leben ist verwirklichtes Sein, das sich durch Liebe fortwährend erneuert.
Um uns auf diese Herzensenergie im Sinne einer Liebe zum Sein einlassen zu können, müssen wir bereit sein, bisherige Vorstellungen und das eigene Wollen in Bezug auf das größere
Ganze zu relativieren.
Das ist aber eine Zumutung für das Ego, das gerne, vom Zentrum des Bewusstseins aus, das Leben bewertet, kontrolliert und beherrscht. Um nicht an Einfluss zu verlieren, muss es eine Front gegen
Erfahrungen aufbauen, die es in Frage stellen könnten. Die allmähliche Befreiung vom Ego ist deshalb in den meisten spirituellen Richtungen das Hauptanliegen, um diese transpersonale Liebe, die sich
auf das ganze Sein bezieht, verwirklichen zu können.
Im Dialog zwischen Psychotherapeuten und spirituellen Lehrern kommt es immer wieder zu unüberbrückbaren Missverständnissen, die Begriffe Ich und Ego betreffend. Gehen die spirituellen Ansätze davon aus, dass das Ich zu überwinden ist, um sich selbst verwirklichen zu können, glauben die psychologischen Experten, dass ein gesundes Ich unbedingt erforderlich ist, um sich auf soliden inneren Fundamenten entfalten zu können. Das Dilemma kann leicht beseitigt werden, wenn wir die Begriffe Ich und Ego nicht identisch verwenden, sondern voneinander unterscheiden und differenziert betrachten.
Da ich in meinen Veröffentlichungen detailliert Eigenschaften und Struktur des Ego, insbesondere in seinen Abweichungen und Ähnlichkeiten zum psychologischen Ichbegriff herausgearbeitet habe, sollen hier, aus Platzgründen, einige meiner Einsichten zusammengefasst werden. Grob skizziert, lassen sich folgende Leitlinien ziehen:
Umgangssprachlich würden wir einem Menschen ein starkes Ich dann zuschreiben, wenn er weiß was er will, sich seine Meinung sagen traut und tatkräftig für seine Ziele eintritt. Auch
Toleranz und Dialogfähigkeit sind Ausdruck eines eigenständigen Ich.
Das Ich ist somit ein wichtiger Garant der menschlichen Entwicklung. Ichverlust ist immer gleichzusetzen mit fehlender Anpassungsfähigkeit. Menschen mit Ich-Defiziten sind nicht in der Lage, sich
selbst angemessen zu regulieren, konstruktiv zu kommunizieren und die eigenen Talente zu entfalten.
Das starke Ich wird jedoch zum Ego, wenn es seine Ziele gegen die berechtigten Ansprüche anderer durchsetzt, die Grenzen nicht respektiert, kontrolliert und manipuliert, um für sich selber das Beste herauszuholen. Es sind also vor allem jene Gedanken, Gefühle und Handlungen, die in Beziehungen eine unangenehme Atmosphäre hervorrufen und durch die wir anderen, aber auch uns selbst schaden.
Auf die Spur unseres Ego und unserer Egoverstrickung gelangen wir schon durch wenige und sehr einfache Fragen, wie zum Beispiel:
In Situationen, in denen wir vom Ego dominiert werden, erleben wir uns verbissen, gierig, eifersüchtig, unversöhnlich, hart und abwertend. Wir hören nicht zu, halten gerne an unseren Vorurteilen fest und beziehen unsere Sicherheit eher aus materiellen Werten und äußerem Ansehen.
Die Folgen sind soziale Kälte, mangelnde Mitmenschlichkeit und fragmentierte Beziehungswelten, in denen keine verlässlichen und langfristigen Bindungen entstehen können. Das Ego
bindet unsere kreativen Kräfte und macht uns taub für Intuitionen.
Vor allem aber zeigt es sich im tiefen Misstrauen gegen alles, was einfach passiert. Das hat zur Folge, dass wir uns einer kreativen Auseinandersetzung mit Lebensumständen, die uns voranbringen
könnten, verweigern.
Das führt früher oder später in eine Sackgasse. Dabei offenbart sich, dass vieles, was bisher wichtig war, wie etwa Prestige oder äußerliche Werte, auf Dauer nicht wirklich zufrieden macht und wir
beginnen, die Schieflage unserer Vorstellungen vom Leben zu erkennen.
Das ist das, was spirituelle Richtungen des Ostens als Maya, als Täuschung bezeichnen, die die Notwendigkeit der Ent-täuschung herausfordert. Diese Krise, die meistens in der Mitte des Lebens einsetzt, ist dann oft der Ausgangspunkt des spirituellen Suchens, das von der Frage „Wer bin ich wirklich?“ begleitet wird.
Ähnlich wie bei der Arbeit an Widerständen in der Psychotherapie ist aber zu berücksichtigen, dass das Ego abbauen kann, wer sich selber gegenüber mitfühlend und wertschätzend verhält. Der Ausgangspunkt ist immer eine wahrhaftige Bestandsaufnahme, wozu ich mit der folgenden Fragen einen kleinen Anstoß geben möchte:
Diese Egoinventur kann man in regelmäßigen Abständen durchführen, denn allein der aufmerksame Blick auf die Belastungen des Lebens durch das Ego öffnet die inneren Räume für seine Transformation.
Auf diesem Weg gibt es aber auch häufig eine Zeit, in der das bisherige Leben in seinen Begrenzungen leidvoll erfahren wird.
Das hat damit zu tun, dass sich das Ego mit seiner ganzen Kraft gegen diesen Transformationsprozess stemmt, um nicht an Einfluss zu verlieren. Dadurch kann es zu stürmischen Umbrüchen, radikalen
Zweifeln und heftigen Krisen kommen, die manchmal in Visionen von Vernichtungserfahrungen am eigenen Leib, wie etwa Zerstückeltwerden oder Verbranntwerden, gipfeln.
Diese erweisen sich als szenische Vergegenwärtigungen der stattfindenden Egotransformation bis hin zum sogenannten Egotod, ähnlich dem christlichen Mysterium des Kreuzestodes, wo das Sterben als Durchgang zum neuen Leben erfahren wird. Das kann sich zwar für den Suchenden in diesem Augenblick äußerst bedrohlich anfühlen. Die einmalige Chance dieses Zustandes besteht dann aber darin, alte überkommene Persönlichkeitsstrukturen aufzulösen und eine neue stabilere innere Basis entstehen zu lassen.
Dadurch wird nämlich auch ein Prozess in Gang gebracht, den die mystische Literatur als Entfalten der Liebe Gottes in unserem Inneren beschreibt. Die Angst vor dem Tod, die
Angst vor dem Nichtsein sitzt tief in uns.
Das, was aber wirklich sterben muss, ist die Identifikation mit dem Ego und seiner Isolation.
Der Todesschrecken wird damit zum Übergang in eine völlig neue Sphäre inneren Friedens. Gurumayi (1990, S.44f) schildert in ihren Erinnerungen diese Zustandsänderung sehr eindrucksvoll:
Der Zusammenbruch des Egos setzt somit eine neue, höchst intensive Form der Seinswahrnehmung frei. Erst dieses bereinigte Bewusstsein ist offen für jenen Zustand umfassender
Allverbundenheit, in der sich der Wahrnehmende als Sein in allem Seienden erfährt. Zwischen Ich und Du wird die Wesenseinheit zur erfahrbaren Wirklichkeit.
Das „tat tvam asi“ bezeichnet in den Upanischaden (vgl. 1985) die höchste Stufe der menschlichen Erkenntnis: „Dieses da bist du.“ Es ist die Einsicht in die Wesensidentität, durch die wir alle
miteinander verbunden und vernetzt sind auf die Weise, dass nichts mehr für sich allein Bestand haben kann.
Dabei lässt die intensive Erfahrung des gemeinsamen Lebensgrundes Leid und Freude des anderen als eigenes Leid und eigene Freude erfahren. Die segensreiche Wirkung des Mitgefühls strahlt dann auf uns selbst zurück, da wir beginnen, im Nächsten auch jenen spirituellen Grund zu würdigen, aus dem heraus wir selber existieren.
Darin eben besteht ihre spirituelle Qualität, dass sie sich nicht ausschließend, sondern jeden Menschen, jedes Lebewesen, ja den Kosmos im Ganzen einbeziehend versteht.
17.05.2018
Dr. Sylvester Walch
Satori Heilpraxis und World of Cards
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